Am Ende der Milchstraße

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Landliebe, Landlust, Landfrust

Nein, bei diesem Film geht es nicht um die unendlichen Weiten des Weltraums, auch wenn der Titel den Schluss nahelegen würde. Eigentlich ist bei genauer Betrachtung eher das Gegenteil der Fall: Nicht um ferne Galaxien, sondern um das Leben auf dem Lande geht es hier – und obwohl der Film in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt ist, erkennt man schnell die Parallelen zu ländlichen Gebieten in der eigenen unmittelbaren Umgebung. Wischershausen, so der Name des Ortes, von dem Leopold Grün (Der rote Elvis) und Dirk Uhlig erzählen, ist überall, so eine Botschaft, die Am Ende der Milchstraße vermittelt. Eine andere lautet, dass die Heile-Welt-Träume, die Magazine wie Landlust und ihre mittlerweile zahlreichen Nachahmer mit der Realität des Landlebens eher wenig bis gar nichts zu tun haben.
Gerade mal 50 Menschen leben noch in Wischershausen um das selbst der Linienbus eine Kurve macht, indem er vor dem Ort hält und nicht darin. Zu unwichtig, so scheint dies anzuzeigen, ist der kleine Weiler, der in den 1970er und 1980er Jahren mal bessere Zeiten gesehen hat. Da gab es eine moderne Anlage für die Aufzucht von Schweinen und zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe, doch das ist alles längst vorbei. Von den Erträgen der Landwirtschaft kann hier längst niemand mehr leben und so haben viele Menschen auf der Suche nach Arbeit das Dorf verlassen. Die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl einst versprach, zeigen sich allenfalls auf den Feldern, die Wischershausen umgeben, die aber nicht mehr bestellt werden, weil sich die Mühe nicht lohnt.

Wie aber geht man damit um, wenn es bei Lichte und fern jeder Heimatduselei an Perspektiven mangelt? Wie richtet man sich ein in einem Leben, das von Entbehrungen und von Verzicht gekennzeichnet ist? Die Anworten, die Am Ende der Milchstraße aufzeigt, kommen von den Menschen selbst, die der Film vorstellt. Da ist beispielsweise Maxe, der im Dorf geboren wurde und nie weggegangen ist. Obwohl er noch keine 50 Jahre auf dem Buckel hat, machen sich bei ihm schon die körperlichen Anzeichen eines von harter Arbeit geprägten Lebens bemerkbar. Nach 17 Jahren Arbeitslosigkeit hat er eine (freilich jederzeit kündbare) Anstellung auf dem Milchhof bekommen (als einer von zweien aus dem Dorf) und wohnt mietfrei in einem der Häuser, die zu dem Anwesen gehören. Oftmals übernimmt er Schichten von ausgefallenen Kollegen, nicht selten muss er bereits morgens um drei Uhr raus aus den Federn und hält neben dem Knochenjob noch das Haus instand, denn das ist eine der Bedingungen, warum er hier wohnen darf. Außerdem hält Maxe Schweine, Kaninchen, Gänse und Hühner, was ihn während der langen Zeit ohne Job über Wasser gehalten hat. Und man weiß ja nie, wie es weitergeht, wenn mal wieder schlechtere Zeiten kommen.

Neben ihm und seiner Freundin Cordula nebst deren Tochter Nicole fängt Am Ende der Milchstraße noch andere Bewohner von Wischershausen ein, zeigt ihre verschiedenen Überlebensstrategien, lässt sie von ihrem Leben erzählen, ihren Wünschen und oftmals zerbrochenen Hoffnungen – und davon, dass sich diese Menschen zu Recht irgendwie ein wenig im Stich gelassen fühlen von der großen Politik und ihren Versprechungen.

Die beiden Regisseure Leopold Grün und Dirk Uhlig folgen dem bedächtigen Rhythmus des Lebens auf dem Land und enthalten sich jedes Kommentars, so dass es nur die Aussagen der portraitierten Dorfbewohner sind, die der Zuschauer neben den Geräuschen der Natur hört. Man spürt, dass hinter dieser Herangehensweise viel an Mühe und Vertrauensarbeit geleistet werden musste, um so selbstverständlich mit einzutauchen in eine Welt, die so isoliert ihre ganz eigenen Rituale und Gepflogenheiten entwickelt hat.

Wer die Mecklenburger nun ein wenig kennt, weiß sehr wohl, dass diese eher zu den ruhigen und schweigsamen Zeitgenossen gehören. Und so kann es passieren, dass rund zehn Minuten vergehen, bis einer von ihnen mal wieder das Wort ergreift. Das spiegelt zwar einerseits den Charakter des Dorflebens und der Gegend wider, zugleich aber macht die (für Städter ungewohnte) Stille den Film auch ein klein wenig zu einer Geduldsprobe, auf die man sich einlassen muss. Außerdem bleibt das Gefühl, dass die Einzelschicksale hier lediglich angerissen wurden, vielleicht hätte dem Film hier eine Beschränkung auf weniger Protagonisten mehr Tiefe und Stringenz gut getan. Andererseits entsteht gerade durch die Vielstimmigkeit, durch das Beleuchten der verschiedenen Schicksale und Aspekte ein Kaleidoskop, dessen Gesamtwirkung und roten Faden man erst mit etwas Abstand erkennt. Wem solch eine Sichtweise auf diesen Film und sein Thema gelingt, der wird in Zukunft die Verheißungen von Landlust & Co mit anderen Augen sehen.

Am Ende der Milchstraße

Nein, bei diesem Film geht es nicht um die unendlichen Weiten des Weltraums, auch wenn der Titel den Schluss nahelegen würde. Eigentlich ist bei genauer Betrachtung eher das Gegenteil der Fall: Nicht um ferne Galaxien, sondern um das Leben auf dem Lande geht es hier – und obwohl der Film in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt ist, erkennt man schnell die Parallelen zu ländlichen Gebieten in der eigenen unmittelbaren Umgebung.
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