Adopted

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Neue Heimat Afrika

Normalerweise kennt man diese Geschichte nur andersherum: Dass Familien aus Deutschland oder Europa Kinder aus Ländern der so genannten dritten Welt adoptieren, ist längst einigermaßen „normal“ geworden. Dass aber jemand freiwillig den anderen Weg geht und sich von einer afrikanischen Familie adoptieren lässt, das ist wohl für viele undenkbar – wo es uns doch so gut geht hier, wo wir doch alles haben und „die anderen“ nichts. Soweit das Klischee, das natürlich nichts mit Vorurteilen oder Rassismus bzw. dem Überlegenheitsgefühl der ersten gegenüber der dritten Welt zu tun hat – Gott behüte.
Begonnen hat Adopted eigentlich als Kunstprojekt vor vielen Jahren. Gudrun F. Widlok, die als Malerin und Fotografin arbeitet, kam auf die Idee, als ihr eines Tages ein Prospekt ins Haus flatterte, der für Adoptionen afrikanischer Kinder warb. Widlok klebte ein Bild von sich selbst zu den Gesichtern, die sie da anblickten und prompt war der Ursprungsimpuls zu einem Ausstellungsprojekt geboren, das den Spieß einfach mal umdrehte. Denn gibt es nicht hier auch einen Mangel, so der Grundgedanke zu Adopted? Zwar keinen Mangel an Wohlstand und materiellem Besitz, aber einen an Nähe und familiären Bindungen? Offensichtlich hatte sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen, denn die Ausstellung, die auch in Burkina Faso und Ghana zu sehen war, rief solch ein positives Echo hervor, dass allem Anschein nach noch mehr Menschen so dachten wie die Künstlerin. Immer häufiger gab es Anfragen, ob man sich denn nicht wirklich adoptieren lassen könne, so dass der Schritt von der Ausstellung zum Adoptionsbüro ein logischer war. Nun folgt der Dokumentarfilm, der durch die Nähe der an der Regie beteiligten Initiatorin natürlich aus dem Vollen schöpfen kann.

Der Film begleitet drei Menschen auf ihrem Weg in die neue Heimat. Da ist zum Beispiel die 70-jährige Gisela, die unüberhörbar aus Schwaben stammt, aber in einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Seit mehreren Jahren verwitwet fühlt sie sich zunehmend einsam und will ihren Kindern, die alle weit entfernt leben, nicht zur Last fallen. Schon früher, so sagt die agile Dame mit den kurzen weißen Haaren und der Brille, habe es sie gereizt, in den Entwicklungsdienst zu gehen. Doch daraus ist nichts geworden, stattdessen hat sie 36 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet. Nun, das spürt sie deutlich, ist es Zeit für einen Aufbruch geworden.

Auch Ludger, der in Berlin als Schauspieler lebt und arbeitet, spürt die zunehmende Isolation deutlich und wählt deshalb den gleichen Weg wie Gisela. Anders hingegen sind die Motive bei der 25-jährigen Studentin Thelma, die aus Island stammt und die schon immer neugierig war auf andere Menschen, andere Kulturen und Lebensweisen. Bei ihr ist es weniger das Gefühl der Einsamkeit, das sie weg treibt, sondern vielmehr die Lust auf Neues und Unbekanntes.

Eineinhalb Jahre lang haben Gudrun F. Widlok und Rouven Rech (Das Leben ist kein Heimspiel) ihre drei Protagonisten mit der Kamera begleitet, in Deutschland ebenso wie in Ghana. Man spürt an manchen Stellen die Vertrautheit der Gefilmten mit den Menschen hinter der Kamera, da wird direkt in die Kamera geblickt, weil dahinter die Initiatorin steht, die sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreut. Doch sieht man einmal von solchen formalen Patzern und manchen Holprigkeiten ab, ist Adopted angesichts des Themas, das der Film jenseits des Aufhängers behandelt – also Vereinsamung und Isolation in unserer Gesellschaft – ein gelungener Film und einer, der etwas riskiert, weil man gerade bei diesem Projekt nicht absehen kann, wie sich die einzelnen Geschichten im Verlauf der langen Drehzeit weiterentwickeln werden. Am Ende bleiben so seitens der Protagonisten einige Ernüchterungen und Ungewissheiten, wie ihr Leben weitergehen wird.

Dass Adopted auf der Metaebene ein Unbehagen vieler Menschen über einen prinzipiellen Mangel in unserer Gesellschaft artikuliert und die Art und Weise, wie hier drei Menschen versuchen, mit vollem Risiko diesem Mangel zu begegnen, das macht diesen Film zu einem Werk, das seine Widerhaken hinterlässt und das dazu anregt, Utopien überhaupt erstmal auszuprobieren. Von diesem Mut und dieser Fähigkeit, neue Wege zu beschreiten, bräuchten wir wahrlich mehr.

Adopted

Normalerweise kennt man diese Geschichte nur andersherum: Dass Familien aus Deutschland oder Europa Kinder aus Ländern der so genannten dritten Welt adoptieren, ist längst einigermaßen „normal“ geworden. Dass aber jemand freiwillig den anderen Weg geht und sich von einer afrikanischen Familie adoptieren lässt, das ist wohl für viele undenkbar – wo es uns doch so gut geht hier, wo wir doch alles haben und „die anderen“ nichts.
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