Actrices – Oder der Traum aus der Nacht davor

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Von der Schönheit des Scheiterns

Anderen Menschen beim Scheitern zuschauen – das kann öde sein. Oder unterhaltsam und anrührend wie bei Valeria Bruni Tedeschi, die in ihrem zweitem Spielfilm virtuos über die Klaviatur der Tragikomik gleitet.
Ganz am Anfang schwebt ein Klavierflügel durch die Luft. Er hängt an einem gewaltigen Kran, der das sperrige Instrument von außen in die Wohnung eines vornehmen Altbaus hieven soll. Aber in welches Stockwerk? Die Verwirrung führt dazu, dass der Flügel bedenklich zu schwanken beginnt, gefährdet in der Luft hängt, ohne Boden unter den Füßen.

Das Bild gibt die Tonart vor. Actrices – oder der Traum aus der Nacht davor ist ein musikalischer Film, changierend zwischen Dur und Moll, eine Tonleiter von Gefühlen anschlagend, mit einem untergründigen, melancholisch-heiteren Leitmotiv, das der Realität eine verträumte Note abgewinnt.

Es geht um Marcelline, eine erfolgreiche Schauspielerin, die bald ihren 40. Geburtstag feiert und die Rolle der Natalja Petrowna in Turgenjews Drama Ein Monat auf dem Lande spielt. Marcelline steckt in der Krise, beruflich wie privat. Sie leidet unter einem tyrannischen Regisseur, der keinerlei Rücksicht nimmt auf das, was sie in die Rolle einbringen könnte. Und sie weiß, dass sie ihrem privaten Leben eine neue Richtung geben muss. Sie möchte ein Kind, doch ihr läuft die Zeit davon. Und die große Liebe ist nicht in Sicht.

Valeria Bruni Tedeschi, die seit über 20 Jahren vor der Kamera steht und 2003 zum ersten Mal dahinter, spielt die Hauptrolle selbst. Wie schon in ihrem Erstling Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr spickt sie Drehbuch und Besetzung mit autobiografischen Elementen: Zu Beginn ihres Berufslebens sollte die Schauspielerin tatsächlich einmal die Natalja in dem Stück von Turgenjew mimen – eine Erfahrung, die gründlich schief ging und schmerzhaft nagte.

Mit dem Film kehrt die Regisseurin an den Ort des Geschehens zurück: Gedreht wurde im Theater von Nanterre, wo sie ihre ersten Rollen spielte. Und: Die Darstellerin der Filmmutter ist auch im wirklichen Leben die Mutter von Valeria Bruni Tedeschi. All das verleiht dem Film eine besondere persönliche Färbung, nimmt ihm aber nichts von seiner Aussagekraft.

„Ich scheiße auf die Verwirrung“, schreit der Theaterregisseur bei einem seiner Ausraster. Da ist er an die Falsche geraten. Kaum eine andere Schauspielerin kann einen fragenden, unsicheren Blick so hinreißend in ihre Augen zaubern wie Valeria Bruni Tedeschi. Kaum eine andere kann so verletzlich wirken, so ausgeliefert an ihre Gefühle, so verwirrt und schüchtern, als wäre sie das verhuschte Mädchen von nebenan. Und das ist nur die eine Seite. Marcelline kann wunderbar trotzig weglaufen und Kränkungen selbstbewusst weglachen. Kurzum: Dass der Film die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle auslotet, macht ihn zu einem Kunstwerk, von dem der verblendete Theaterregisseur nichts versteht.

Marcelline ist so anrührend verwirrt, dass sie nicht mehr weiß, ob sie Rechts- oder Linkshänderin ist, und einem fremden Baby die (milchlose) Brust gibt. Kein Wunder, dass in einem solchen Zustand die Grenzen zwischen Bühne und Leben verschwimmen. Actrices changiert zwischen Realität und Fiktion als wäre es das Natürlichste von der Welt. Dass Marcellines verstorbener Vater plötzlich bei ihr auf dem Sofa sitzt, gehört wie selbstverständlich dazu. Am Charmantesten ist aber der Einfall, die Theaterfigur der Natalja lebendig werden zu lassen. Wie die „echte“ Natalja der Darstellerin begegnet und mit ihr über den Sinn der Figur streitet — das wird nur noch übertroffen durch den Zank der beiden um den jungen Geliebten.

Natürlich sind Krisen dazu da, dass sie sich zuspitzen. Aber zugleich füttert der Film die Zuversicht, dass seine Theater-Neurotiker schon heil aus den Irrungen und Wirrungen herauskommen, in die sie sich stürzen. „I will survive“, singt der Schauspiel-Kollege bei der Feier zu Marcellines 40. Geburtstag. Worauf man sich verlassen kann. Allem Scheitern zum Trotz.

Actrices – Oder der Traum aus der Nacht davor

Anderen Menschen beim Scheitern zuschauen – das kann öde sein. Oder unterhaltsam und anrührend wie bei Valeria Bruni Tedeschi, die in ihrem zweitem Spielfilm virtuos über die Klaviatur der Tragikomik gleitet.
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