A Most Wanted Man

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Im Fadenkreuz der Geheimdienste

Das Wasser in einem Kanalisationsschacht ist im ersten Bild von Anton Corbijns A Most Wanted Man zu sehen, aus ihm steigt ein Mann an die Oberfläche. Es folgt ein Schnitt, erneut ist ein Flüssigkeitspegel zu sehen, doch dieses Mal handelt es sich bei der bräunlichen Flüssigkeit um Whisky in einem Tumbler, der auf dem Tisch von Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) steht. Im Sumpf stecken jedoch beide Männer: Issa Karpov (Grigori Dobrygin) ist von der Türkei über Schweden illegal nach Deutschland eingereist und versteckt sich nun bei einer türkischen Frau und ihrem Sohn. Mit Hilfe der idealistischen Menschenrechtsanwältin Annabel (Rachel McAdams) will er an das Geld gelangen, das sein Vater einst auf einem Schwarzgeldkonto bei einer Hamburger Bank deponiert hat. Bachmann arbeitet hingegen für eine kleine Einheit innerhalb der Geheimdienste in Deutschland und glaubt, Issa sei der Schlüssel zu einem Terrornetzwerk. Doch auch andere Geheimdienste haben ein Auge auf Issa geworfen und wollen ihn so schnell wie möglich gefangen nehmen.
Mit Issas Auftauchen in Hamburg beginnt ein Spiel der Geheimdienste, in dem sich nicht zwei Antagonisten gegenüberstehen, sondern letztlich hinter jeder Ecke Verrat lauert. Die Figuren erinnern an Marionetten – so lautet auch der treffende deutsche Titel von John Le Carrés Buch, auf dem der Film basiert –, deren Fäden aus ihrer Angst bestehen, etwas falsch zu machen oder zu spät zu reagieren. Den Geheimdienstlern ist dies schon einmal passiert, als Mohammed Atta in Hamburg die Anschläge vom 11. September 2001 vorbereiten konnte. Seither sind sie bemüht, dass sich dieses Versäumnis nicht wiederholt. Deshalb werden Issa und seine Helfer zu Spielbällen zwischen CIA, BND und Bachmann, im Buch mischt gar noch der SIS – vormals bekannt als MI6 – mit. Einzig Bachmann versucht, einige Fäden selbst in der Hand zu behalten. Aber letztlich ist auch er zu tief verstrickt in das Fadengewirr der Geheimdienste.

Während sich bei Le Carré erst allmählich enthüllt, dass es Bachmann eigentlich auf den vermeintlichen „Vorzeige-Muslim“ Dr. Faisal Abdullah (Homayoun Ershadi) abgesehen hat, ist er als Ziel von Bachmanns Tätigkeiten im Film von vorneherein auszumachen. Bachmann vermutet, dass Abdullah mit einem kleinen Prozentsatz des Geldes, das er für Hilfsprojekte sammelt, terroristische Anschläge finanziert. Deshalb will er Issa als Köder nutzen: Er soll das Geld seines Vaters nehmen und Abudallah überlassen. Der BND und das Innenministerium sind von diesem Vorgehen nicht überzeugt, deshalb muss Bachmann die CIA-Agentin Martha Sullivan (Robin Wright) auf seine Seite ziehen. Die CIA – im Gegensatz zum Buch von vorneherein involviert – ist die entscheidende Kraft in diesem Spiel. Damit wird zum einen wiederholt deutlich, dass es letztlich die Amerikaner sind, die die Entscheidungen treffen, zum anderen wird Bachmann ein wenig heldenhafter. Er dreht und wendet jeden Fakt, spürt Kleinigkeiten nach und will ein Spiel nach seinen Regeln spielen. Mit Le Carrés George Smiley, zuletzt kongenial gespielt von Gary Oldman in Tomas Alfredsons Tinker Tailor Soldier Spy, verbindet ihn die Ansicht, dass Spionage ein Geschäft mit langem Atem sein sollte. Doch obwohl Bachmann klassische Spionagemittel wie eine Schachtel Zigaretten nutzt, haben sich seit Smileys Wirken die Zeiten geändert. Philip Seymour Hoffman spielt den rastlosen, unerbitterlichen Manipulator Günther Bachmann subtil changierend zwischen gut und böse. Im Gespräch mit Robin Wright als manipulativer CIA-Agentin wird sein Geschick deutlich – und im Zusammenspiel mit Nina Hoss, die Bachmanns Mitarbeiterin und Freundin mit einem bürokratisch-hinreißenden Charme verkörpert, zeigt sich Bachmanns gerissener Charme und deutet sich sein guter Kern an.

Issa bleibt dagegen lediglich eine Figur in einem Spiel. Im Buch ist er ein schwieriger Charakter voller Widerhaken, bei dem stets ein wenig Unsicherheit über seine wahren Motive besteht. Dort redet er viel über seine Auslegung seiner Religion, im Film zeigen sich die Spuren seiner Vergangenheit, die Traumata der Gefangenschaft und Folter vor allem in Dobrygins zurückgenommenem Agieren. Schnell legt Issa im Film zudem Bart und Kopfbedeckung ab, so dass er in den Augen mancher weniger fremd und damit weniger bedrohlich erscheint, auch besteht er nicht darauf, dass Annabel ein Kopftuch trägt und Abstand zu ihm hält, sondern berührt sie selbst. Dadurch ist er sicher zugänglicher, jedoch verliert der Film durch diese Wendung zur Konventionalität Ambivalenz – und kippt in der Szene, in der Issa Annabel das Armband seiner Mutter schenkt, sogar in Kitsch. Das ist schade, da der Film sonst durchaus auf Grautöne setzt: Bachmann ist zwar der Held des Films, aber weder gut noch böse, sehr deutlich wird darüber hinaus das Dilemma der Spitzel am Beispiel von Abdullahs Sohn: Auf der einen Seite glaubt er, das Richtige zu tun, um seine Familie zu schützen. Auf der anderen Seite weiß er aber, dass er seinen Vater verrät, und fragt sich, wem gegenüber er Treue und Solidarität zeigen sollte.

Visuell bleibt A Most Wanted Man an der glatten Thriller-Oberfläche, Corbijn arbeitet viel mit naturalistischen Farben, gelegentlich durchbrochen von dem alkoholgeschwängerten Gelb von Bachmanns Privatleben. Im Vergleich zu Alfredsons stilisiert-jazziger Le-Carré-Verfilmung Tinker Tailor Soldier Spy und Corbijns bisherigen visuell sehr durchkomponierten Filmen Control und The American überrascht diese Zurückhaltung. Sie erscheint als Hommage an klassische Spionagefilme und bringt die Ernüchterung zum Ausdruck, die mit diesem Film einhergeht: In Le Carrés Welt betrügt jeder jeden und am Ende zeigt sich der Zynismus der Geheimdienste, der selbst einen altgedienten Mann wie Bachmann kurz verzweifeln lässt. Denn er ist ein Anachronismus in einer Welt, die auf schnelle Aktionen dringt.

A Most Wanted Man

Das Wasser in einem Kanalisationsschacht ist im ersten Bild von Anton Corbijns „A Most Wanted Man“ zu sehen, aus ihm steigt ein Mann an die Oberfläche. Es folgt ein Schnitt, erneut ist ein Flüssigkeitspegel zu sehen, doch dieses Mal handelt es sich bei der bräunlichen Flüssigkeit um Whisky in einem Tumbler, der auf dem Tisch von Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) steht. Im Sumpf stecken jedoch beide Männer.
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Meinungen

Martin Zopick · 09.07.2022

Wer John Le Caré kennt, weiß, dass er nicht so der Vertreter von fulminanter Action ist. Er setzt mehr auf Charakterzeichnung und intelligente Spionage. Von daher ist ihm Anton Corbijn vollauf gerecht geworden. John le Carrés Metier ist, dass der Geheimdienste, die z.T. gegen einander arbeiten z.T. miteinander. Man berät sich täuscht an und schlägt dann doch anders zu und alle Absprachen in den Wind. Und selbst im eigenen Land gibt es mehrere Organisationen, die für die Sicherheit zuständig sind und von einander unabhängig agieren. Da kennt sich John le Carré besser aus, als jeder andere. Schließlich war er ja mal bei so einem Verein. Thematisch ist er in letzter Zeit immer aktuell gewesen. Nach Nine Eleven nimmt er die Dschihardisten ins Visier.
Unter Mitwirkung von vielen deutschen Darstellern (Nina Hoss, Daniel Brühl, Herbert Grönemeyer (auch Musik) u.a.) leitet hier Günther Bachmann (Philip Seymour-Hoffman) die nachrichtendienstliche Abwehr. Er bewegt sich dabei zwischen dem CIA unter Martha Sullivan (Robin Wright), einem offiziell untadeligen ‘religiösen‘ Geschäftsmann Abdullah (Homayoun Ershadi), einem Bankier (Willem Dafoe) – denn es geht um viel Geld - einer Nachwuchsjuristin (Rachel McAdams) und dem Tschetschenen Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin). Am Ende wird es dann nochmal richtig spannend und es gibt eine faustdicke Überraschung. In drei Minuten wird die bislang fehlende Action nachgeholt, wenn alle Geheimdienste am gleichen Ort zur gleichen Zeit aktiv werden. Sie wollen Karpov und Abdullah und natürlich die Geldquelle. Der Film vermeidet eine plakative schwarz-weiß Kategorisierung. Ein dreifaches ‘Fuck!‘ von Bachmann sagt alles. Erfolg oder Misserfolg ist ja schließlich eine Frage der Perspektive.

B. Redlich · 04.10.2014

Sehr gute Rezension!

Wieder einmal bestätigt sich meine Beobachtung, wirklich wertvolle Filme schneiden meist mit 50 % Zustimmung oder weniger ab. Möglicherweise liegt das an den Erwartungen, mit dem man sich den Film anschaut und der nicht ganz so leichten Verdaulichkeit.

Der Film wird vom Anfang bis zum Ende von stimmigen Bildern, untermalt von einem richtig guten Soundtrack, glaubwürdigen Charakteren und einem kontinuierlichen Spannungsbogen getragen.

Das Prädikat „besonders wertvoll“ kann ich nur bestätigen. Wer mehr auf Action und leichte Kost aus ist, für den ist dieser Film wohl eher nichts.

Ich freue mich den Film ein zweites Mal zu sehen – Meisterwerke offenbaren nicht alle Ihre Geheimnisse bei der ersten Betrachtung.

Danke!

Frau K. · 03.10.2014

Ein absolut enttäuschender Film. Hochkarätige Schauspieler in Statistenrollen. Die Geschwindigkeit eines Derricks. Wagen fahren minutenlang vor. Viele Szenen tragen überhaupt nicht zur Handlung bei: da geht eine Mitarbeiterin über den Parkplatz, betritt den Abhörwagen und sagt "Guten Tag!" (gefühlte 5 Min.). An den Haaren herbeigezogen auch die Liebesgeschichte zwischen dem gläubigen Muslim Issa und der deutschen, linken Rechtsanwältin, der man alles abnimmt, nur nicht, dass sie Rechtsanwältin ist. Ein Klischee jagt das andere. Postkartenhamburg. Ein absolut enttäuschender Film. Ein schlechter Film.

Herr B. · 26.09.2014

Mein Kumpel und ich sind mit hohen, vielleicht zu hohen Erwartungen in diesen Film gegangen (vor allem da unter anderen Schauspielergrößen wie Philip Seymour Hofmann mit an Bord sind), die dann leider entsprechend enttäuscht wurden. Zunächst kann gesagt werden, dass man einfach viel mehr aus dem Plot hätte machen können. Ich dachte mir die ganze Zeit, wann geht's endlich richtig los? Wirklich interessant wäre gewesen, wenn sie diesen Oman tatsächlich umgedreht hätten dann den Geldfluss bis hin zu den Terroristen aufgedeckt hätten. Das Ende entlässt einen dann mit einem Gefühl aus dem Kino, nur ein Drittel, allenfalls die Hälfte des Films gesehen zu haben. Der Film wirkt unausgegoren. Dann hat der Film einfach keinen Spannungsbogen. Folglich kann dieser auch nicht auf den Zuschauer überspringen. Der Film zieht einen nicht mit ins Geschehen, man bleibt lediglich das, was man ist, Zuschauer. Zusammenfassend kann ich sagen, dass man diesen Film wirklich nicht gesehen haben muss und ich auch niemandem Empfehlen würde den Film zu sehen. Dass es wesentlich bessere Filme mit Philip Seymour Hofmann gibt, habe ich am vergangenen Mittwoch in "Tödliche Entscheidung" gesehen. Dafür, dass das Drehbuch nichts taugt, kann er allerdings nichts.

Tiger-Oli · 23.09.2014

Danke für die Rezension. Ein starker Film.