A Fuller Life

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Biographie eines Hollywood-Außenseiters

Samuel Fuller, geboren 1912, gestorben 1997, war Filmemacher. Und Crime-Reporter. Und Romanautor. Und Cartoonist. Und Weltkriegs-Veteran. Vor allem war er ein unabhängiger Geist. Einer, der lieber einen billigen B-Film drehte, der dann seiner war, als einen A-Film mit all den eingebauten Kompromissen. Sam Fuller war so etwas wie ein Independent-Regisseur innerhalb des Hollywood-Systems. Und das funktionierte, solange das Hollywood-System funktionierte…
Sam Fuller war Vater. Seine Tochter Samantha, geboren 1975, verfilmte nun sein Leben; nein: verfilmte seine Autobiographie. Und das ist ein sehr gelungener Ansatz für einen biographischen, posthumen Dokumentarfilm: Statt Freunde und Weggefährten über das Objekt des Filminteresses zu interviewen, lässt sie Freunde und Weggefährten ganz einfach die Autobiographie ihres Vaters verlesen, in einzelnen Kapiteln, klug ausgewählte Textstellen, die ein volles Leben wenigstens auszugsweise wiedergeben. Und die von der Sprachgewalt zeugen, die Sam Fuller in sein 600-Seiten-Buch legte, klar und präzise, pointiert und offen, mit Blick auf die Details wie auf das große Ganze.

Gedreht wurde in Fullers Büro, das seit seinem Tod nicht verändert wurde – eine Art Schrein für den Vater, so schildert es Samantha Fuller. Ein vollgestapeltes Arbeitszimmer, mit Büchern und Zetteln, mit Erinnerungsstücken und Rechercheunterlagen. Hier sitzen die Vorleser, jeder handverlesen aus bestimmtem Grund mit einem bestimmten Kapitel verbunden. James Franco macht den Anfang, die frühen Jahre als kleiner Reporter – „ein junger Bursche voller Energie, voller Ideen und Ambitionen“, so Samantha Fuller, darin seien sich James Franco und Papa Fuller nicht unähnlich. Einen Part über die Straßenschlachten in San Francisco 1934 sowie über eine Ku-Klux-Klan-Reportage liest der schwarze Schauspieler Bill Duke; Wim Wenders berichtet in Fullers Worten von dessen Kriegsteilnahme, von Kämpfen in Aachen und Sudetenland.

Was nun A Fuller Life über die verfilmte Lesung hinaushebt: Das sind die privaten 16mm-Aufnahmen, die Fuller gemacht hat und die nach seinem Tod unterm Schreibtisch gefunden wurden. Insgesamt vier Stunden Material, gefilmt mitten im Krieg, gefilmt hinter den Kulissen von Dreharbeiten, gefilmt hinter dem Vorhang von Hollywood. Hier wird Fuller voll greifbar, nicht nur in den Bildern selbst, auch hinter ihnen: Nämlich als einer, der die Wirklichkeit aufzeichnen muss, der nicht anders kann als das zu verarbeiten, was er sieht, was er erlebt, was er erfährt. Dass er sich freiwillig meldete als Soldat im Zweiten Weltkrieg – nicht Abenteuerlust oder patriotische Aufwallung gaben den Ausschlag, sondern, ganz der Reporter an der Verbrechensfront, die Aussicht „to cover the greatest crime story in history“.

In der Folge, in den 50ern, drehte er packende kleine Reißer, oftmals Kriegsfilme mit äußerst genauem, möglichst weitgehendem, zugleich persönlichem Blick auf das Kampfgeschehen, eine seine ganze Karriere durchziehende karthatische Reaktion auf das selbst Erlebte; dazu bittere Krimis, spannende Reporterstories; und in den 1960ern, mit der Erneuerung des Hollywoodkinos, folgte eine zunehmende Marginalisierung… Er drehte im Ausland, unter anderem einen TatortTote Taube in der Beethovenstraße, um dann, 1980, in The Big Red One, seine Zeit als Infanterist nochmals ultimativ auszumalen. Legendär sein Diktum in Jean-Luc Godards Elf Uhr Nachts (1965), in dem sich Fuller selbst spielt: „Film is like a battleground. There’s love, hate, action, violence, death… in one word: emotion.“

Fuller ist Filmgeschichte. Das ist ein Problem in der heutigen geschichtsvergessenen Zeit. Er ist nicht „Kult“, er ist keiner der „Großen“ – umso schöner, dass es diesen Film doch gibt. Denn Gottseidank gibt es noch genügend Filmfans, die sich seiner erinnern – und die seine Erinnerung lebendig halten wollen. A Fuller Life wurde komplett durch Crowdfunding finanziert, die größte Geldsumme musste aufgewendet für die Digitalisierung des 16mm-Materials. Nun gehört dieser Film ganz der Familie von Sam Fuller – eine würdige Hommage.

A Fuller Life

Samuel Fuller, geboren 1912, gestorben 1997, war Filmemacher. Und Crime-Reporter. Und Romanautor. Und Cartoonist. Und Weltkriegs-Veteran. Vor allem war er ein unabhängiger Geist. Einer, der lieber einen billigen B-Film drehte, der dann seiner war, als einen A-Film mit all den eingebauten Kompromissen. Sam Fuller war so etwas wie ein Independent-Regisseur innerhalb des Hollywood-Systems. Und das funktionierte, solange das Hollywood-System funktionierte…
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