9to5 - Days in Porn

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Geschäft mit der Lust

Es ist schon merkwürdig: Jeder kennt sie, aber niemand besitzt sie. Pornofilme führen neben der mehr oder weniger seriösen Kinounterhaltung und dem anspruchsvollen Kunstkino ein Schattendasein – und waren doch von Anfang an ein Riesengeschäft. „Fünf Minuten, nachdem 1827 die Photographie und 1894 der Film erfunden wurde, stand eine nackte Frau vor der Kamera“, so brachte es der legendäre Nudie Cutie- und Horrorfilm-Produzent David F. Friedman und Weggefährte von Herschel Gordon Lewis (Blood Feast) einmal auf den Punkt. Anscheinend ist die Lust an der (Schau-)Lust ein menschlich-allzumenschliches Bedürfnis. Und wo Bedürfnisse herrschen, wo sie bestehen oder mit Leichtigkeit geweckt werden können, sind gute Geschäfte ebenso nicht weit entfernt wie ein zumindest gesteigertes Publikumsinteresse.
Drei Typen von Menschen, die in der Pornoindustrie als Darsteller arbeiten, hat die Sexualberaterin und ehemalige Pornodarstellerin Dr. Sharon Mitchell, Gründerin der 1998 ins Leben gerufenen Adult Industry Medical Health Care Foundation (kurz AIM), ausgemacht: Die einen giert es nach Ruhm, andere wiederum nach Geld und eine dritte Gruppe sei schlicht und einfach süchtig nach Sex. Die meisten Probleme, so erfahren wir weiter, gäbe es mit jenen Menschen, die sich Ruhm durch die Branche versprächen.

Neben Mitchell sowie Stars und Sternchen der Branche wie Belladonna, Audrey Hollander und ihrem Freund Otto Bauer (auch er ist Pornodarsteller), Mia Rose, Roxy Deville , der aus Leipzig stammende Katja Kassin und der sehr selbstbewussten Newcomerin Sasha Grey, die demnächst in Steven Soderberghs Girlfriend Experience zu sehen sein wird, kommen Produzenten, Regisseure und Agenten wie Jim Powers, Johnni Darkko, John Stagliano und Mark Spiegler zu Wort. Dabei ist das, was sie sagen, häufig erwartbar und zeugt in manchen Fällen eher von einem gesunden Maß an Schönfärberei als von ausgeprägtem Realitätssinn. Ohne Illusionen und Konstruktionen wie jenen Mark Spieglers etwa, der sich selbst als „Daddy“ der von ihm vertretenen Darstellerinnen geriert, wäre das knallharte Geschäft mit der Lust wohl auch kaum auszuhalten.

Viel interessanter und erhellender sind da schon die Bilder, die Jens Hoffmann findet. Und zwar nicht wegen ihrer Drastik und dem Voyeurismus, den sie bedienen. Vielmehr unterläuft der Regisseur und Kameramann Jens Hoffmann, der für seine Arbeit an diesem Film gerade für den Deutschen Kamerapreis nominiert wurde, durch die Wahl der Bildausschnitte und Details immer wieder den „pornographischen Blick“ und balanciert so gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Schaulust und Aufklärung. Stattdessen zeigt er die Bemühungen der männlichen Darsteller während der Drehpausen, „standhaft“ zu bleiben sowie die müden und ausgelaugten Gesichtern der Darstellerinnen, denen deutlich anzusehen ist, dass dies hier kaum etwas mit Lust, sondern eher mit einer physischen wie psychischen Tortur zu tun hat. Spaß an dem was sie tun, haben nur die wenigsten. Zumal das Geschäft und die Filme den Gesetzen des Marktes folgend immer härter werden, um sich überhaupt noch durchsetzen zu können.

Was der Film trotz aller Offenheit nur wenig thematisiert, sind die Gefährdungen, denen sich das Pornogeschäft in Zeiten des Internet ausgesetzt sieht. Denn in Zeiten, in denen es nahezu jeden Pornofilm zumindest scheibchenweise kostenlos im Internet zum Download gibt, ist die Branche – ob man dies nun bedauert oder nicht – massiv bedroht. Und bemüht sich deshalb sowohl in den USA wie auch in Deutschland um Staatshilfe. Denn Sex, so hört man es aus der Branche, sei ein Grundbedürfnis des Menschen. Wie hart auf der Produzentenseite für dieses Bedürfnis gerackert wird, macht 9to5 – Days in Porn deutlich. Geahnt haben wir das allerdings seit P.T. Andersons herausragendem Spielfilm Boogie Nights schon längst.

Letzten Endes geht es neben allem Kitzel und dem ganzen Brimborium um nackte Haut und die Erwähnung der ganzen Bandbreite gängiger und ungewöhnlicher Sexpraktiken (die dank der Allgegenwärtigkeit von Sex in den Medien längst zum Mainstream gehören) um die Unterhaltungs- und Filmindustrie ganz allgemein. Hier wie dort geht es geht um die Träume, Hoffnungen und Ernüchterungen der Starlets, um die Macht der Produzenten und um die Schwierigkeiten in einem Markt, der sich dank Internet und der neuen Medien in den letzten Jahren rasant verändert hat.

Weniger spektakulär, aber mit der gleichen Herangehensweise könnte man Filme über die Filmbranche, die Verlagswelt, das Musikbusiness drehen – und würde vermutlich auf weniger Interesse stoßen. Das mag man bedauern. Doch zugleich liegt in der Aufmerksamkeit, die der Film „erregt“, auch eine Chance: Wie die Pornofilmbranche, so sieht sich auch die Film- und die gesamte Medienbranche generell einen starken Wandel ausgesetzt, sind die Herausforderungen durch das Internet und das veränderte Konsumverhalten nahezu die gleichen. Die derzeit wieder einmal strahlende Kinobranche, die sich auf Festivals von Cannes feiern lassen darf und deren Beitrag zur kulturellen Vielfalt unbestritten ist, und ihre schmuddelige kleine Schwester, sind zwei Seiten einer Industrie, die sich immer wieder neu erfinden muss. Und das ist in Zeiten der Erstarrung und des Zauderns keine schlechte Voraussetzung.

9to5 - Days in Porn

Es ist schon merkwürdig: Jeder kennt sie, aber niemand besitzt sie. Pornofilme führen neben der mehr oder weniger seriösen Kinounterhaltung und dem anspruchsvollen Kunstkino ein Schattendasein – und waren doch von Anfang an ein Riesengeschäft. „Fünf Minuten, nachdem 1827 die Photographie und 1894 der Film erfunden wurde, stand eine nackte Frau vor der Kamera“, so brachte es der legendäre Nudie Cutie- und Horrorfilm-Produzent David F. Friedman und Weggefährte von Herschel Gordon Lewis (Blood Feast) einmal auf den Punkt.
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Meinungen

Marco · 06.04.2009

Der Trailer ist sehr gut gemacht. Wann läuft der Film bei uns an? Den will ich unbedingt im Kino sehen.