zurück zur Übersicht
Festivals

Postkarten aus Cannes #3: Meisterwerk eines Regiegenies oder Abgesang auf eine große Karriere?

In diesem Jahr probieren wir etwas Neues aus: Statt langer Filmkritiken senden wir lieber Postkarten (manchmal sind es auch Briefe) aus Cannes, in denen wir den Tag und vor allem die Filme Revue passieren lassen, Bilder und Eindrücke.

Meinungen
Megapolis

Was war über diesen Film nicht im Vorfeld bereits gesprochen und geschrieben worden. Megalopolis, der Film, an dem der Meisterregisseur Francis Ford Coppola vier Jahrzehnte gearbeitet hat, um dessen Realisierung er seitdem gekämpft und dafür Unsummen an privatem Vermögen investiert hat. Insgesamt 120 Millionen US-Dollar, so heißt es; unter anderem musste auch Coppolas berühmtes Weingut in Nappa Valley daran glauben. Und auch nach der Weltpremiere in Cannes wird es nicht viel ruhiger um diesen Film – wobei die Meinungen angesichts des Gesehenen denkbar weit auseinandergehen. Was ja an sich nichts Schlechtes ist und einen regen Diskurs über Filme ermöglicht – eigentlich die Vorstellung dessen, was ein Festival erreichen kann.

Die Urteile der internationalen Presse spiegeln diese Spaltung ziemlich akkurat wider: „Das Verrückteste, was ich jemals gesehen habe“ (Justin Chang im New Yorker) bis zu mega aufgeblasen und ja … mega aufgeblasen (Peter Bradshaw im Guardian) sind zwei extreme Gegenpole – ein Dazwischen gibt es allerdings kaum.

Um es kurz zu machen: In Sachen Megalopolis bin ich ganz klar Team Bradshaw. Was ich allerdings angesichts kürzlich veröffentlichten Trailers bereits vermutet hatte. Mit sehenswertem Cast, der zwischen behaupteter Tiefgründigkeit und albernen Plattitüden unentschlossen hin und her schwankt, viel gebauten Kunstwelten, deren Qualität freundlich gesagt ebenso schwankend ist wie die darstellerischen Leistungen und einigen handfesten Überraschungen (die eine, bei der auf noch nie zuvor gesehene Weise die vierte Wand zwischen Leinwand und Publikum aufgebrochen wird – mehr wird hier nicht verraten) erzählt Coppola von einer Stadt und deren drohendem Untergang.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Megalopolis, eine Mischung aus New York und dem antiken Rom, ist ein dekadenter und dem Untergang geweihter Sündenpfuhl, hochverschuldet und von den Menschen, die hier leben, abgespalten. Allein der Architekt und genialische Stadtplaner Cesar Catilina (Adam Driver) wagt es, sich dem mächtigen Bürgermeister Cicero League (Giancarlo Esposito) entgegenzustellen, der für die Kräfte des Beharrens steht. Cesar aber schwebt anderes vor, eine Stadt, die sich ganz in den Dienst der Menschen stellt, eine Architektur, die die Formen und Funktionen der Natur nachahmt und so eine Versöhnung zwischen den unüberwindbaren Gegensätzen ermöglicht. Was natürlich ein wenig an Fritz Langs recht schlichte Botschaft aus Metropolis erinnert.

In fünf Kapiteln und versehen mit einer allwissenden Erzählerstimme, die Betrachtungen und Binsenweisheiten über Geschichte, Philosophie und Gesellschaft von sich gibt, die durch schlecht animierte, antik anmutende Marmortafeln illustriert werden (doppelt geraunt hält bekanntlich besser) entfaltet Coppola mit viel Pathos und nicht immer stilsicher auf dem schmalen Grat zwischen tiefem Ernst und wüstem Pulp die an sich recht schlichte Geschichte des Kampfes zweiter großer Egos, die dadurch zusätzlich Zunder erhält, dass Cesar sich in Julia (Nathalie Emmanuel), die Tochter seines Widersachers verliebt.

© American Zoetrope/Le Pacte

Weil dies allein natürlich viel zu dünn wäre als Story, wird der Plot mit Sex, Wissenschaft, Kunst, viel Genie-Geraune sowie mächtigen Bankern, zwielichtigen Intriganten, berechnenden und sexsüchtigen Frauen und allerlei anderen wundersamen Gestalten aus dem Klischee-Baukasten aufgepeppt und gerät dabei so überbordend barock, dass sich dabei (zumindest für mich) schnell gepflegte Langeweile und Missmut einstellt vor so viel behaupteter Größe und Tiefsinnigkeit.

Die perfekte Beschreibung seines Films und der gewaltigen Probleme, die er hat, gibt Coppola übrigens selbst, in einem Satz, den die Erzählerstimme an einer Stelle von sich gibt. Dort heißt es sinngemäß, dass Imperien dann dem Untergang geweiht sind, wenn die Menschen ihnen nicht mehr glauben. So ambitioniert Megalopolis auch sein mag, so sehr Coppola möglicherweise diesen Film als Summe seines Schaffens verstanden haben möchte (denn nichts anders drängt sich angesichts seiner Hartnäckigkeit und der gewaltigen Summe von 120 Mio. US-Dollar aus seinem Privatvermögen auf, das er investierte), so monströs ist letztlich das Scheitern dieses Werkes. Die Magie, die er heraufzubeschwören versucht, das Welterklärungsmodell in all seiner Parabelhaftigkeit wirkt schal, abgeschmackt, auf unangenehme Weise artifiziell und völlig aus der Zeit gefallen. Und so drängt sich förmlich das Gedankenexperiment auf, wie dieser Film wohl ausgefallen und aufgenommen worden wäre, wäre er, wie ursprünglich intendiert, in den 1980er-Jahren nach den großen Erfolgen Coppolas mit Der Pate und Apocalypse Now entstanden.

Was bleibt, ist ein gigantisches Werk, das man am besten in Erinnerung behält, wenn man diesen Film so schnell wie möglich zu vergessen versucht.

Meinungen